Marode Brücke, neue Brücke

"Ich schwör's bei Gott, ich trat hinüber und da knartschte es und es knackte und da brach mein Bein hindurch! Einen Schreck habe ich bekommen, dass ich dacht mein Herz hört auf zu schlagen und das wärs mit mir gewesen! Das Wasser ist mir bis zu den Knien gestiegen und ich sag's euch, wenn mich nicht alles getäuscht hat, da hat das Wasser an mir gezogen!"

Der bäuerlich gekleidete Mann, der in einer Schenke in Memleben sitzt und sich bei den anderen Gästen Gehör verschafft, nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Humpen. Dannzeigt er anklagend auf seine Hose, die eingerissen ist und noch immer tropft.

"Diesmal mags nur ein Brett gewesen sein, doch ich setz' keinen Fuß mehr auf die Brücke in Moorrand, so wahr ich noch hier sitze. Viel zu gefährlich ist es mir, dieses morsche und brüchige Ding nocheinmal herauszufordern!"

Mit einem lauten und Knall stellt er den Krug vor sich ab und sieht sich um. Die Gäste scheinen ihm zuzustimmen und murmeln etwas von maroden Brücken, morschen Planken und viel zu schmalen Wegen.

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Als derlei auch in Moorrand gehört wird, grinst der Mann des Moores und wiegt seinen Kopf hin und her. Scheinbar in Gedanken versunken greift er nach der Feder auf seinem Tisch und beginnt zu schreiben, ohne gewahr zu werden, was er da niederbringt. Schließlich schüttelt er den Kopf, kichert und blickt hinab auf die Zeilen, die er aufsetzte.

"Ein alter Mann, der geht am Stab,

ein alter Mann mit Krücke,

und bevor er grausig starb,

vermied er meine Brücke.

 

Morsch und brüchig ist das Holz,

ein jeder nähert isch mit Scheu,

drum verkünd' ich euch mit Stolz,

die schmale Brücke mach ich neu!

 

Ich stehl' euch etwas von der Zeit,

die neue Brück' zu bauen,

doch schon bald ist's dann so weit,

tret's drauf ihr könnt' euch trauen.

 

Gleich morgen wird's die Brücke in Moorrand nicht mehr geben und dann soll's sie neu geben. Ein jeder, der reist auf diesem Pfad wird's sich gedulden müssen, wenn's neu gebaut wird. So ist's mit der Geduld und der Zeit:

Gez. Vielerlei"

 

Zufrieden nickt der Mann des Moores und schickt einen Boten, der es in Memleben aushängen soll, damit die anderen wissen, dass die Brücke für kurze Zeit nicht passierbar sein wird.