Unschuldig gen Himmel

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Sie schleppte sich völlig entkräftet die Treppe hinauf, jede Stufe kam ihr höher vor als die letzte, aber sie nutzte alles, was sie an Kraft noch aufbringen konnte. Sie musste sich vergewissern. Lebte er noch? War sie zu spät? Endlich oben angelangt, brach sie erneut zusammen. Sie konnte es nicht glauben. Zitternd und in Tränen getränkt fasst sie den Entschluss. Dieses Verbrechen durfte nicht unbekannt und ungestraft bleiben. Sie fängt an, zu schreiben.
Mit dem Beenden der letzten Zeilen erhebt sie sich zitternd. Ihre Knie sind weich und sie bricht fast erneut zusammen. Der Bote kam in Memleben an, von der Kunde wissend und sichtlich betrübt, geht er zügig und zielstrebig auf das schwarze Brett zu, entrollt das Pergament und schlägt mit einigen, schweren Zügen die Nachricht an. Er selbst liest einen Moment lang die Zeilen, die aus tiefster Trauer hervorgingen:

 

An alle Interessierten, Pöbel, wie Adel, Knechte, wie Ritter, Grafen, wie Fürsten. Schreckliches ereignet sich zu jeder Zeit, und kürzlichst erneut. Bereits die Kunde, der Exkommunizierung der Verräterin Katharina Winters, oder auch Tyra Oldronnings lies vermuten, was dieses Weib an Teufelstaten zu schaffen vermochte. Nun tut ihre Schwester es ihr gleich und lies sich auf einen Pakt ein, mit Männern, denen Ehre und Anstand Fremdwörter zu sein scheinen.
Ich, Yelva Synnove, eine einfache Beraterin, eine leichtgläubige, zutrauliche, treue Seele aus dem Orte Rochester, ging nach Tyrheim, auf der Suche nach Hilfe in dringlichster Not. Das Kind, von dem einige wussten, dass ich es beherbergte, war fürchterlich erkrankt und als es mir unmöglich schien, ihm zu helfen, ging ich los um zu fragen. Die damalige Gräfin zu Tyrheim, die Schwester der Dirne, die diesen Ort so rasch verließ, wie ein getriebenes Pferd im Schnellgalopp, vermochte in die Fußstapfen ihrer närrischen Verwandten zu treten und das Dorf, das sie einst ihr Zuhause nannte, eben so schnell zu verlassen, wie die reudigen Ratten von einem sinkendem Schiff zu fliehen versuchten. Einen Pakt mit dem Teufel schloss nun auch sie und vermachte Tyrheim einer räuberisch wirkenden Bande, welche das geheiligte, von Sünden befreite Land auf ein Neues verpesteten mit ihrem unsittlichen Verhalten und gewissenlosem Vorgehen. So bedrohten sie jene, die Hilfe suchend vor ihrem Tore standen, lockten sie hinein und streckten den wehrlosen, frommen Christen nieder und sperrten mich weg. Sie ließen uns keine Wahl, und auch mein Flehen um Gnade einer unschuldigen Seele ersuchten sie nicht. Nicht einmal auf die Bitte, um des Kindes Willen, reagierten sie. Sie wandten mir den Rücken zu, wissend, dass es sterben würde. Wissend, dass es nicht das meine war. Wie der Bischof, kümmerte auch ich mich um eines der Kinder der Gotteslästerin, mit einer Liebe und Fürsorge, die sie selbst wohl nie zu erhalten schien.
Auch wenn ich jung sein mag, war dies nicht, was dieses arme Geschöpf verdiente. Der Weg nach Rochester war schwer und weit und ein jeder Schritt raubte mir die letzte Kraft. Ein Wille, den sie nie besaß, nicht einmal im Ansatz! Als sie uns alle wegwarf, als wären wir alte Lumpen, für den Sündiger, des Königs Bruders! Um ihr Leben so leicht wie möglich zu gestalten, auch, wenn dieser Narr auch mich versuchte, zu umgarnen. Jedoch kläglichst scheiterte.
Nicht einmal meine junge, naive Person, fiel auf die wenig charmanten Worte des Lustknaben herrein, der gerade zu platzte, vor Stolz und Arroganz, der Bruder eines Fürsten zu sein. Sie jedoch, war es nicht anders gewohnt, als Jedem, der ihr Dorf betrat, die Türen und Tore zu öffnen und jedem Einlass in ihren verkümmerten Tempel zu gewähren! So folgte sie seinem schlechten Beispiel, floh feige vor den Konsequenzen ihres Handelns und wiegt sich nun sicher, in den Armen des Königs und dessen Bruders, welche ihr Zuflucht gewährten. Eines ihrer Kinder ist nun tot! Sie, ihre Schwester, die ihr Zuflucht gewähren und die Dämonen, mit denen sie einen Pakt schlossen tragen Schuld am Versterben und verstören unschuldiger, die so viel für sie gaben.

Volke Ottoniens, möge Gott der Seelen dieser Meute gnädig sein, aber möge er entsprechend ihrer Taten richten und sie verurteilen!
Gebt Acht, diese Dämonen lauern überall. Der Herr sei mit euch.

Der junge Bursche wischt sich hastig durch das Gesicht, erschüttert von den Worten, die er las. Er hält für eine kurze Zeit inne, die ihm wie Stunden vorkamen, dreht sich um und verschwindet eilig in der Menge um die Kunde nun mündlich weiter zu tragen, von Ort zu Ort, ohne, dass ihm das je aufgetragen wurde, sah er es als seine Pflicht. Schon bald wusste das ganze Land, was sich dort im sonst so ruhigen Norden abspielte. Und fällte sein eigenes Urteil.