[Geschichte] Die Hunde im Nebel

Bild des Benutzers Elise Payne
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Der Nebel hing dick und kalt über den sumpfigen Ufern des Sees. Sie stand mit festem Fuß auf dem gefrorenen Ufer, den müden Blick auf den Mann im Wasser gerichtet welcher mit einer Mistgabel behutsam im Kniehohen Schlamm nach etwas zu suchen. Ihre Glieder waren ihr steif von der Kälte der Herbstnacht, bis auf eine Laterne in ihrer linken Hand erhellten nur die fernen Lichter von Lazarus auf dem gegenüberliegenden Ufer des Sees die Nacht.
Für einen Moment schien ein Bild in ihren Kopf zu gehen, die Geschehnisse der letzten Nächte, die kalten Worte eines Mannes, das seltsame Gefühl auf ihrer Haut, die Tränen in ihren Augen. Doch all das hatte jetzt keinen Platz, durfte jetzt nicht sein.
Schließlich deutete der Mann Stumm an den Fuß einer Brücke, wo etwas unförmiges von den sanften Wellen des Sees angeschwemmt worden war. Erleichtert hörte die Gräfin Carhams sich aufatmen, ehe sie den Blick auf den Mann richtete.
"Hol ihn raus."
Kalt und befehlerisch kamen diese Worte über ihre Lippen, zu ihrer eigenen Freude - Sie fing an, wie eine Herrscherin zu sprechen. Ohne einen einzigen wiedersprüchigen Laut stapfte der Mann durch das Hüfthohe Wasser, auf den leblosen Körper zu.
Als sie es geschafft hatten, die Leiche aus dem Wasser zu ziehen und auf eines der Pferde zu betten stand der Halbmond hell am Himmel, verzogen von einzelnen Wolken und man musste kein alt eingesessener Bauer sein um zu deuten, dass es bald regnen würde. Die Gräfin jedoch war nur froh, den Körper geborgen zu haben ehe die Felder des kleinen Dorfes durch den stetigen Herbstregen überflutet werden würden und das kleine Tal zwischen dem eisigen Gebirge Carhams und den sanften Bergketten Stirlings sich in eine kalte, nasse Moorlandschaft verwandelte.
Elegant stieg die Lady auf den schwarzen Schecken, einen kurzen Blick zu ihrem Begleiter werfend während ihr die Lederzügel durch die zarten Hände glitten. Das Pferd ihrer Wache schien sich kurz vor dem zusätzlichen Gewicht zu sträuben, ehe es aufhörte zu tänzeln und sich mit einem Schnauben seinem Schicksal beugte.
"Wenn wir uns beeilen sind wir bis zum Morgengrauen in den Mondlanden.",kühl klang ihre Stimme, den müden Blick auf ihren Begleiter gerichtet. Kalter Wind und Regen begannen um die beiden zu wüten, als sie endlich ihre Rösser zügelten ritten sie gen Osten, begleitet vom stetigen Donnern der Hufe ihrer Pferde, dem Knurren der Hundemeute und vom pfeifen des Wind
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Als sie an der Burg von Carham vorbei ritten konnte die Gräfin nicht anderst, als einen kurzen Blick auf das gewaltige Bauwerk zu werfen. Wie ein schlafendes Ungetüm stand es da, hell erleuchtete Fenster als tausende Augen, die dunklen Zinnen wie die Zähne eines Hundes und der riesige Schatten den Mond verdeckend, wie die Schwingen eines Drachen. Dennoch wurde ihr bei dem Anblick der Heimat warm und bei dem Gedanken an ihre Tochter und an ihren Liebsten welche dort sicher auf ihre Rückkehr warteten. Behütet, geschützt von den vielen Feinden, welche sie hatten. Feinde im Westen, Feinde im Norden. Überall lauerten sie auf ein Zeichen von Schwäche, einen unaufmerksamen Augenaufschlag, ein falsches Gefühl von Sicherheit...
Als ob ihr geliebter Charles ihnen das gönnen würde, selbst der kleinste Triumph war zuviel.
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Wie sie es vorrausgesehen hatte war der Weg schlammig. Als sie die Brücke bei Harrowstead überquert hatten drohten die Pferde auf dem nassen Boden auszurutschen, weshalb sie ihre Pferde bis zur Brücke über die Donau zügeln mussten. Erst in der Südmark angekommen konnten sie ihr Tempo wieder beschleunigen. Dicker Nebel hing in den Thälern und den Wäldern, hinter jeder Ecke konnte eine Gruppe Banditen auf sie warten, doch liefen die Hunde weiterhin zügig und konzentriert zwischen den Pferden hindurch, nicht auf ein Zeichen von Gefahr hindeutend.
Als der Morgen graute und der Himmel sich lichtete erreichten sie die Mondfelder. Die Lady Carhams ließ sich müde vom langen Ritt vom Rücken ihres Pferdes gleiten, nahm die Zügel und band sie einige Male um einen herunterhängenden Ast ehe sie durch das einst rote Blumenmeer hindurch schritt, nach einer guten Stelle ausschau haltend.
Schließlich fand sie diese Stelle am Rande der Wiese unter einer jungen Weide, welche mit etwas Glück noch für hunderte Jahre diesen Ort markieren würde. Auffordernd pfiff sie ihren Begleiter zu sich, auf den feuchten Boden nickend. "Grab dort."
Stumm machte er sich an die Arbeit, während die durchnässte und durchfrorene Gräfin sich auf einen Stein setzte, nachdenklich auf die kargen Pflanzen schauend. Im Sommer war sie mit ihrem Liebsten hier gewesen, hatte die Schönheit dieser Blumen im Licht der untergehenden Sonne bewundert.
Sie würden ein gutes Grab für ihn sein.
Hasste sie ihn? Ja, sie hatte ihn dafür gehasst, dass er seine Waffe erhoben hatte und einen Pfeil in Charles' Richtung abgefeuert hatte. Dennoch wäre sie ohne ihn nicht dort, wo sie jetzt stände. Sie wäre geflohen vor dem Mann, dem man so viel Grausamkeit und Arroganz nachsagte. Stattdessen aber war sie geblieben und hatte das Glück gefunden.
Die Sonne stand hoch am Himmel, als sie seinen Körper zurück an die kalte Erde gaben und zuscharrten. Mit einem nicken deutete sie ihrer Wache an, zurück zu den Pferden zu gehen während sie sich niederkniete und eine geschwärzte Klinge aus einer Tasche an ihrem Kleid zog. Behutsam setzte sie es an der Rinde des jungen Baumes an, ehe sie mit zwei sicheren, kräftigen Handgriffen ein Kreuz in dieses ritzte.
Zufrieden mit der Auswahl ihres Platzes und ihrer getanen Arbeit richtete Sakura sich wieder auf, einen Blick auf die frisch umgegrabende Erde werfend.
"Wir sehen uns in der Hölle, Aurelius Boehmen.", mit einem sanften Lächeln auf den Lippen wiederholte sie die letzten Worte des Mannes, ehe sie den Rücken zu dem Grab kehrte, den Blick auf die wartenden Hunde und die Pferde gerichtet. Mit festen, anmutigen Schritten ging sie zu ihnen hinüber, sattelte ihr Pferd und ritt mit der kalten Sonne im Rücken zurück gen Nordwesten, in die Arme ihres Liebsten.