Sanft spülten die Wellen die Salze und die Winde des Meeres an die Küste. Die Gewalt des Meeres rollte nun beinahe schon fürsorglich über den sandigen Strand, doch am Horizont formten sich dunkle Wolken. Deutlich zeichnete sich das aufziehende Gewitter hinter dem strahlend blauen Himmel ab.
Grimoire Weiss hielt bei den Arbeiten stehts ein wachsames Auge auf den Himmel. Sie hatte gehofft, das Unwetter würde über sie hinweg ziehen. Doch so, wie es jetzt aussah würde es die Küste mit voller Stärke treffen.
Sie richtete sich auf und sah zu ihrer kleinen Gefolgschaft, welche Stämme aus dem nahegelegenen Wald für den Bau von Hütten mit der Hilfe einiger Pferde an den Strand zog. "Grabt sie tief ein!",ihre kräftige, doch anmutige, Stimme hallte über den Strand, als sie sich vom Anblick der Küste zu den felsigen Hängen drehte. "Und nutzt die Ruhe vor dem Sturm."
Sie sollte Recht behalten, denn bereits wenige Sonnenschritte später war der Himmel über den kleinen, bescheidenen Hütten beinahe so dunkel wie in der Nacht und ein starker Wind rüttelte an den Dächern der Behausungen.
Es war ein starker Sturm und nicht der erste, welchen Grimoire Weiss an dieser Küste erlebte. Blitze erhellten den Himmel, Winde bewegten alles, was nicht fest in der Erde verankert war. Sie konnte die Pferde im Stall unruhig scharren hören, doch auch sie würden sich bald an das turbulente Wetter gewöhnen.
Die meisten bezeichneten das Wetter als "Schlechtes Omen" oder "Apokalyptisch". Sie jedoch verglich es mit einem Kind. Im ersten Moment war alles so friedlich und harmonisch wie nur irgends möglich und im nächsten Moment wünschte man sich in jener schicksalshaften Nacht nicht nach drei Krügen Starkbier auf die glorreiche Idee gekommen zu sein sich mit einem gestählten Kriegsveteran neben den Pferden vergnügt zu haben.
Jedes mal, wenn sie sich in ihren Häusern verbarrikadierten und das Ende des Teufelswetters abwarteten sah Grimoire den selben zweifelnden Blick auf den Gesichtern ihrer Gefolgschaft. Fast schon konnte sie die Kreatur des Zweifels in ihren Kehlen knurren hören. Doch solange sie noch die Sterne in der Nacht sah würde sie keinen Rückzieher mehr machen... Und solange würde Grimoire den stählernden, entschlossenen Blick auf ihrem bleichen Gesicht bewahren. War es nicht das, was einen Anführer ausmachte? Entschlossenheit in den Momenten, wo jeder andere zweifelte. Ein einziger Augenblick der Stärke welcher alle anderen wissen ließ, dass sie sich voll und ganz auf die kleine, zierliche, weißhaarige Frau verlassen konnten von welcher sie weder Reichtum, Namen noch Herkunft kannten. Was spielte das auch für eine Rolle für sie? Grimoire Weiss hatte ein unerschütterliches Vertrauen in sich selber, in ihre Entscheidungen und in Jeden Einzelnen von ihnen.
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Am Morgen trat die weißhaarige Frau erneut aus dem Haus. Der Sturm hatte Treibholz an den Strand gespühlt - Kräftige, entrindete Stämme welche vielleicht schon seit Jahren vom Salzwasser durchspühlt werden. Die Sonne ging hinter dem Horizont auf und der Sturm hatte bloß einige harmlose Wolken zurück gelassen. Aber der nächste würde kommen. Vermutlich tausende. "Bringt das Holz zu den anderen, tragt Stein an den Klippen ab...",wie üblich flogen die Aufgaben des Tages über den Strand zu rufen. Mit neuer Kraft und nun fern von jedem Zweifel machten sich die wenigen Einwohner dieses kargen Fleckchen Landes an die Arbeit. Sie hatte sich entschieden. Der Ort würde den Namen Sturmkap tragen und sie, Grimoire Weiss, würde hier eine blühende, friedliche Siedlung entstehen lassen für all jene, welche ihr gefolgt waren - Jene, welche des Krieges und des Tötens müde waren. Ein offenes Tor für alle, welche Schutz und Ruhe suchten und eine geschlossene Pforte für jene, welchen es nach Blut und Verderben dürstete. Bis vor ihrer Zeit war ihr nie bewusst gewesen, was Leid war. Das hatte sie erst gelernt, als sie sich vor den Männern Mercia's in ihrem Haus verstecken musste während sie ihre Ernte vernichteten. Sie hatte erst gelernt, was Dummheit war als sie in den Hallen Ravenskarp saß und zuhörte, wie Egil und Kelthor versuchten ihre Niederlage auf den Jeweils anderen zu schieben und sich schließlich weigerten, aus den eindeutigen Fehlern ihrer selbst zu lernen. Sie wollte es anderst, besser machen. Sie wollte aus Fehlern wachsen und sie nicht verleugnen. Sie wollte sich nie wieder unter ihrem Tisch verstecken müssen wenn Draußen die Meute tobte und Pfeile in ihre Hauswand schlugen.
Sie blickte auf das grüne Gras und auf die kleinen Wildblumen, welche dort wuchsen. Und zum ersten Mal seit Jahren schlich sich ein ehrliches, warmes Lächeln auf ihr bleiches Gesicht und in ihr grausames Herz.