Die Sonne versinkt im Meer

Der Geschmack von Salz lag in der Luft, als Wolfram das Schiff bestieg. Das Holz knarrte unter seinen beschlagenen Stiefeln, der Wind pfiff über die Siegel und ließ das Meer sich kräuseln, das im Licht der Sonne glitzerte. Einige Möwen hatten sich an der Reling der Schwarzen Lady niedergelassen, während Wolframs Blick über die Anlegestelle strich. Die starken Mauern und hohen Türme Memlebens ragten mächtig aus den Wäldern hervor, ein Stich brannte in Wolframs Herzen. Er erinnerte sich noch gut, an seine erste Ankunft in den Ottonischen Königslanden, damals hatte sein Vater noch gelebt. Friedrich hatte darauf gebrannt das Land zu entdecken, Otto hatte geklagt er wolle endlich wieder zurück nach Korsika, jener Insel wo sich die Haubensteins nach ihrer Flucht aus der Steiermark niedergelassen hatten, unterdessen er, Wolfram, sich nach seinen Büchern sehnte und gleichzeitig darauf brannte die berühmten Orte in den Geschichten seines Vaters und den Chroniken, die er im Exil verschlungen hatte, mit eigenen Augen zu sehen. Skrel, kalt und unbeugsam, Graufurt, in all seiner Pracht, Norwich, die düstere Burg der Feltons, Carham, als Feste im Herzen Schottlands, Ravnskarp, Jorvik und Uppsala als Bastionen der Wikinger, die schier unendlichen Wüsten des Orients, die bewaldeten Grenzlande, die reichen Herzlande, die warme Südmark und die Tundras des Nordens. Dies alles hatte er gesehen und noch mehr.

„Sir, wir brechen jetzt auf!“, hörte er die rauchige Stimme des Kapitäns, seine Kleidung war vom Salz aufgeweicht, seine Haut von der Sonne gebräunt und von den Stürmen der Meere gezeichnet. Wolfram nickte bloß, hörte kaum wie die Matrosen den Anker lichteten, wie der Wind die Segel aufblies und Ottonien langsam vor seinen Augen verschwand. Die flammenden Lichter der untergehenden Sonne spiegelten sich in dem kristallklaren Wasser des Meeres, tauchten die Freie Stadt Memleben in kräftige, gesättigte Farben, ehe sie im Horizont versank. 

Wolframs Augen huschten den weißen Vögeln nach, als sie sich von der Reling los lösten und ihre Schwingen ausbreiteten. „Wohin fliegen sie?“, fragte er interessiert und stützte sich an den Zaun. „Nachhause“, erklärte einer der Matrosen, sein Mund stank nach faulen Zähnen und verderbendem Fleisch. „Ich habe kein Zuhause mehr“, meinte Wolfram und beobachtete die Vögel, wie sie Richtung sinkende Sonne flatterten. „Sagtet ihr nicht ihr seid Herr Vindobonnas?“, erkundigte sich der Matrose und kratzte sich am Rücken, wo seine Haut stark gerötet war, fast so als würde sie glühen. „Ich war Herr Vindobonnas“, korrigierte Wolfram, er fuhr sich durch das feuerfarbene Haar. „Weshalb…?“, begann der Mann. „Ich habe Vindobonna in die Obhut eines Vertrauten meines Bruders gegeben, er wird dort mit meiner Stimme sprechen und es in meinem Namen verwalten, bis ich zurückkehre. Bis ich mich selbst gefunden habe!“ Der Matrose nickte bedächtigt und zog an seiner Pfeife, der Geruch von Kräutern wirbelte durch die Luft. „Bis ihr euch selbst gefunden habt?“, hakte er nach, ein spöttisches Lächeln lag auf seinen ledrigen Lippen. „Ja“, bestätigte Wolfram trocken, „Als ich geboren wurde wusste ich, dass Friedrich einmal Melengar erben würde und Otto die Tochter irgendeines Adeligen ehelichen würde und dann seine eigenen Gebiete verwalten würde. Lyria, die einzige Frau, der ich je mein Herz schenkte, tötete sich selbst ,als sie von meinem Verschwinden vor einigen Wintern hörte und nach und nach vergaß ich wer ich bin, wusste nicht was meine Aufgabe im Leben ist. Ich kenne sämtliche Feldherren der Geschichte, hunderte von Königen, dutzende von Rittern nur nicht mich selbst. Und das möchte ich nun herausfinden, in den fernen Landen, frei von Intrigen, Rache und Krieg, und wenn ich endlich wieder weiß wer ich bin, nach Ottonien zurückkehren!